Ralf Volkmer ist ein starker Verfechter des Lean-Ansatzes und kritisiert, dass Lean in deutschen Unternehmen missverstanden wird. Im Interview mit iovolution.de erklärt er, warum im Lean-Ansatz Menschen wichtiger sind als Prozesse und wie das mit Business Intelligence zusammenhängt.
Herr Volkmer, Sie gelten als Verfechter des Lean Managements. Was ist Lean Management überhaupt?
Ralf Volkmer: Dafür möchte ich aus dem Buch „Die Zweite Revolution in der Autoindustrie“ von James P. Womack, Daniel T. Jone und Daniel Roos zitieren: Schlanke Unternehmen richten ihr Augenmerk einerseits explizit auf Perfektion. Kontinuierlich sinkende Preise, Null-Fehler, keine oder zumindest möglichst gerine Lagerbestände und beliebige Produktvielfalt.
Worin liegt nun das Missverständnis?
Um Fehler zu vermeiden, Lagerbestände zu reduzieren und eine Produktvielfalt zu erzeugen, müssen die Prozesse fortlaufend perfektioniert werden.
Das hört sich doch toll an. Jeder Geschäftsführer würde dieser Aussage zustimmen.
Ja, perfekte, schlanke und effiziente Geschäftsprozesse sind eben nur ein Aspekt des Lean-Ansatzes. In westlichen Unternehmen steht leider noch immer die Steigerung der Effizient im Vordergrund. Entsprechend groß war und ist die Verwunderung darüber, dass Lean in westlichen Unternehmen nicht zu denselben Ergebnissen geführt hat wie bei Toyota.
Wer ist Ralf Volkmer? Der Vater von vier Kindern lebt mit seiner Frau in Heddesheim bei Mannheim. Der Lean-Enthusiast ist Initiator der leanbase.de – Deutschlands größte Lean-Community. In dieser Verantwortung leistet er Aufklärungsarbeit und kämpft gegen Vorurteile über Lean.
Vielleicht ist Lean auch nur in asiatischen Unternehmen umsetzbar.
Dieser Schlussfolgerung stimme ich nicht zu. Eigentlich widerspreche ich solchen Aussagen vehement. Die bloße Fixierung auf so genannte schlanke und effiziente Prozesse haben den Charme, dass sie in Zeit- und Geldeinheiten betriebswirtschaftlich durchkalkuliert werden können. Doch zum Lean-Ansatz gehört mehr: will Lean im Unternehmen funktionieren, dann ist eine entsprechende Arbeits- und Unternehmenskultur erforderlich, in deren Mitte der Mensch steht.
Besonders wir im Westen heben doch gerne hervor, dass wir humanistische Werte vertreten.
Hier dürfen zwei Ebenen nicht verwechselt werden. Für die westliche Demokratie gilt dies zweifelsfrei. In der Geschichte unserer Industrialisierung allerdings haben wir die Menschen dem Fließband geopfert, wenn ich zuspitzen darf. Wir haben die Arbeitsschritte derart kleinteilig zerstückelt, dass der Mensch nur noch wenige, im Idealfall nur eine Handbewegung, machen musste. Fiel ein Arbeiter aus, konnte er mühelos ersetzt werden.
Und die japanische Fließbandproduktion funktioniert anders?
Was die Prozesse anbelangt, unterscheiden sie sich im Wesentlichen nicht voneinander. Aber die Rolle der Menschen in der Produktion ist eine andere. In westlichen Unternehmen ist es – zumindest bisher – unvorstellbar, dass ein einfacher Arbeiter ohne akademische Ausbildung und Führungserfahrung die Produktion anhält, wenn er im laufenden Prozess Fehler erkennt. Das traut sich kein deutscher Beschäftigter. Er wird ja ermutigt, Prozessen, Richtlinien und Anweisungen zu folgen und nicht eigenverantwortlich im Sinne des Unternehmens zu handeln.
Was bedeutet dies für die Führungskräfte?
Aus meiner Sicht – und aus Sicht des Lean-Ansatzes überhaupt – kommt den Führungskräften eine Schlüsselrolle zu. Sie müssen die Lean-Philosophie vorleben. Dafür müssen sie ihre autoritäre Haltung ablegen. Im Lean dürfen sie die Untergebenen nicht belehren, sondern sie befähigen, Probleme zu erkennen, anzusprechen und zu beheben. Dies setzt eine Arbeitskultur voraus, die das Aussprechen von Problemen und Fehlern möglich macht. Auf diese Weise, und nur auf diese Weise, können die Prozesse im Unternehmen perfektioniert werden. Und hier schließen wir an dem an, was ich zuvor angemerkt habe: Die Prozesse sind nur ein Aspekt im Lean-Ansatz. Eigentlich sind perfekte, verschlankte Prozesse immer das Ergebnis eines erfolgreich umgesetzten Lean-Ansatzes in einem Unternehmen.
Es drängt sich die Frage auf, wie es dazu kommen konnte, dass der Lean-Ansatz missverstanden wird.
Dafür müssen wir auf das Buch “Die Zweite Revolution in der Autoindustrie” zurückkommen. Seine Autoren, drei renommierte Ökonomen an amerikanischen Universitäten, konnten nur das beschreiben, was sie beobachtet haben. Was sie nicht beobachten, erkennen oder verstehen konnten, ist dementsprechend unentdeckt geblieben.
Sie meinen, dass die drei Ökonomen den kulturellen Code in den japanischen Unternehmen nicht verstanden haben. Genau so wie ein Japaner, der den Unterschied zwischen Kölsch- und Alt-Bier und den damit zusammenhängenden traditionellen Schlagabtausch zwischen Köln und Düsseldorf nicht verstehen würde.
Vereinfacht gesagt: ja. Der Lean-Ansatz ist wie ein Eisberg, der auch Unterwasser noch viel Masse mit sich trägt. Vielleicht waren sich die Autoren des Buchs hierüber bewusst. Ihre Leser haben das Gelesene kopiert. Aber vor dem Kopieren muss das Kapieren kommen.
Abgesehen von den Punkten, die bisher genannt wurden: Woran scheitert die Umsetzung des Lean-Ansatzes in deutschen Unternehmen?
Der Lean-Ansatz ist immer dann gescheitert, wenn seine Methoden schablonenhaft abgearbeitet wurden. Jedes Unternehmen bringt unterschiedliche Voraussetzungen mit und stellt andere Anforderungen. Die Methoden per se können kulturelle Aspekte nicht abbilden. Diese Methoden sind nämlich keine “eierlegende Wollmichsäue”, die für alle Unternehmen gleichermaßen gelten.
Sind wir aber in Deutschland nicht schon viel weiter als das, was Sie beschreiben?
Die Unternehmen haben in den letzten Jahren Fortschritte gemacht: Keine Frage! Aber es ist noch jede Menge Aufklärungsarbeit notwendig. Dass unsere Community rund um leanbase.de in den vergangenen Jahren so rasant gewachsen ist, sehe ich einerseits als einen Hinweis, wie groß der Bedarf für Aufklärungsarbeit ist. Andererseits zeigt die gewachsene Community, auf wie viel Potenzial wir in Deutschland zurückgreifen dürfen. Berater, Coaches, Trainer, Autoren – alle Expertinnen und Experten auf diesem Themenfeld.
Die leanbase.de ist inzwischen eine der wichtigsten Anlaufstellen für die Lean-Community in Deutschland. Sie veranstalten auch viele Events.
Wir bieten eine Vielzahl an Veranstaltungen und Aktivitäten rund um Lean an. Webinare, Seminare, digitale Konferenzen, regionale Stammtische und so weiter. Zum wichtigsten Format gehört aber das “LeanAroundTheClock”, auch bekannt als LATC.
Was ist leanbase.de?
Vor rund sieben Jahren gründete Ralf Volkmer leanbase.de, das als Plattform der deutschsprachigen Community rund um die Themen Lean, Agil, Scrum, Industrie 4.0 und Co. dient. Diese stellt eine niedrigschwellige Anlaufstelle dar, auf dessen Grundlage zahlreiche digitale und analoge Veranstaltungen realisiert werden. Das “LeanAroundTheClock” ist das wichtigste und größte Format.
Was ist das? Und warum ist gerade dieses Format sehr wichtig?
LeanAroundTheClock bricht mit allen bisher bekannten Regeln vergleichbarer Veranstaltungen. Wir machen auch keinen Unterschied zwischen dem Top-Management eines Unternehmens und seines Sachbearbeiters. Vielmehr sehen wir uns als Raumgestalter. Das heißt, wir setzen einen Rahmen und was innerhalb des Rahmens geschieht, entscheiden nicht wir, die Organisatoren, sondern unsere Gäste. Inzwischen ähnelt es einem Familientreffen, ohne dass neue Mitstreiterinnen und Mitstreiter ausgeschlossen werden. Wer in das Lean-Thema einsteigen und sich dort schnell mit der Community vernetzen möchte, der ist auf dem LATC genau richtig.
Welche Rolle spielt Analytics und Business Intelligence auf dem LATC?
Auf jedem LATC versuchen wir immer aktuelle Entwicklungen aufzugreifen, deshalb gilt es also alle Verfahren zur Gewinnung von Daten im Blick zu haben. Auf dem LATC setzen wir uns mit Industrie 4.0 und smarter Fabrik auseinander. Da geht es zentral um Prozesse. Themen wie Datenanalyse wurden in den Vorträgen diskutiert. Patric Geiger von Iodata hat dazu zum Beispiel einen Vortrag gehalten, der auch als Video über die Iodata-Homepage abgerufen werden kann.
Die Wurzeln von Lean gehen ja auf die Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zurück. Inzwischen agieren Unternehmen in einer Datenökonomie. Was bedeutet dies für den Lean-Ansatz?
Auf den ersten Blick ändert sich aus meiner Sicht nicht viel. Ob in einer analogen oder smarten Fabrik – für perfekte, schlanke Prozesse sind Kultur und Leadership sowie Menschfokussierung weiterhin unerlässlich. Denn ein schlechter Prozess bleibt auch dann ein schlechter Prozess, wenn er digitalisiert ist.
Und bei genauerer Betrachtung?
Bei genauer Betrachtung muss ich sagen, dass das Missverständnis über den Lean-Ansatz, der Jahrzehnte standhaft blieb, sich nicht in die Digitalökonomie fortsetzen darf. So wie der Mensch der industriellen Fertigung geopfert wurde, zumindest in der frühen Phase der Industrialisierung, darf der Mensch in der Digitalökonomie nicht den Daten geopfert werden.
Was meinen Sie damit genau?
Genau wie Prozesse haben Kennzahlen den Charme, dass man sie in quantitative Größen herunterbrechen und lenken kann. In diesem Fall wird der Menschen zum Getriebenen der Kennzahlen. Das sollte unbedingt vermieden werden.
In Business Intelligence wird seit einigen Jahren über Data Literacy, also die Datenkompetenz bei Beschäftigten eines Unternehmens, diskutiert. Ihren Ausführungen zufolge ist Datenkompetenz Voraussetzung für Lean Management in der Digitalökonomie.
Unbedingt. Je besser die Mitglieder eines Unternehmens mit Datenkompetenz ausgestattet sind, umso besser sind sie in der Lage eigenverantwortlich zu handeln. Der datenkompetente Mitarbeiter von heute ist sozusagen der Mitarbeiter am Fließband von gestern, der befugt und fähig ist, die Produktion zu stoppen, wenn er Fehler oder Abweichungen erkennt.
Auf jeden Fall erkenne ich im Zusammenspiel zwischen Business Intelligence und Lean-Ansatz ein großes Potenzial für die Herausforderungen der Zukunft.
Herr Volkmer, vielen Dank für das Gespräch!
Die digitale Transformation der Wirtschaft, die auch unter dem Begriff Industrie 4.0 diskutiert wird, ist ein Megatrend, der alle Arbeits- und Lebensbereiche durchdringt und sie verändert. Sie betrifft das Bildungssystem genauso wie das Gesundheitswesen, die Kommunen ebenso wie den Handel und selbstverständlich auch die industrielle Hochtechnologie, die das Herzstück des deutschen Standorts bildet. Umso wichtiger ist es, diese vielfältigen und dynamischen Entwicklungen der digitalen Transformation übersichtlich darzustellen und verständlich zu erklären. Wie wichtig dies ist, kennen wir aus unserer täglichen Arbeit bei der Iodata GmbH. Als Daten-Spezialisten strukturieren, analysieren und visualisieren wir Unternehmensdaten, damit das Management begründete und fundierte Entscheidungen treffen kann. Um die vielfältigen Entwicklungen der Digitalisierung zu beschreiben und zu verstehen, müssen ergänzend zu den quantitativen Daten auch qualitative Indikatoren beachtet werden. Denn heute blicken wir auf dem Fundament von Business Intelligence auf neue Herausforderungen: Smart Data, künstliche Intelligenz, autonome Fertigungsbetriebe, vernetzte Fabriken, Mensch-Roboter-Kollaborationen, predictive analytics, Internet der Dinge oder virtuelle Realitäten, um nur einige Highlights zu nennen. Iovolution.de ist daher nicht nur ein Online-Magazin, das sich an Entscheider aus Wirtschaft, Verbände, Politik und Wissenschaft wendet. Es ist eine Erweiterung des Angebots der Iodata GmbH: ein Instrument zur Trend- und Innovationsbeobachtung.
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